Die Soziale Taxonomie - Wo bleibt das ,,S'' in ESG?
Seit den 2O0Oer Jahren sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - Ökologie, Soziales und Wirtschaft - im Fokus. Doch dominiert bislang die ökologische Perspektive. Der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums spiegelt dies wider, indem er Klimaziele in den Vordergrund stellt. Zunehmend werden jedoch die sozialen Implikationen der Klimaveränderungen deutlicher und die soziale Dimension, die Mensch und Gesellschaft in den Mittelpunkt von Nachhaltigkeit stellt, muss ins Bewusstsein rücken.
Drei Kernbausteine der EU-Nachhaltigkeitsstrategie
Die EU-Taxonomieverordnung ((EU) 2020/852) trat bereits im Juli 2020 in Kraft. Sie ist eines der drei Herzstücke des EU-Aktionsplans zu Nachhaltigkeit. An ihrer Seite stehen zusätzlich die CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive), nach dieser müssen Unternehmen über den Grad ihrer Nachhaltigkeit Auskunft geben, sowie die SFDR, die Offenlegungsverordnung. Diese verpflichtet Finanzdienstleister zur Offenlegung der Nachhaltigkeitsfaktoren in ihren Finanzprodukten.
Die Offenlegungsverordnung ist in der Finanzindustrie angekommen und hat sich dort etabliert. Fondsgesellschaften ordnen ihre Fonds öffentlichkeitswirksam den Artikeln 6, 8 oder 9 zu – dies impliziert einen bestimmten Grad an Nachhaltigkeit und zieht jeweils abgestufte Reporting-Pflichten nach sich. Bei der CSRD-Richtlinie haben Unternehmen noch Mühe, den umfangreichen Nachhaltigkeits-Reportings zu genügen. Aber auch dort ist Fortschritt spürbar. Demgegenüber scheint die Taxonomieverordnung auf halbem Wege steckengeblieben zu sein. In ihrer Ausgestaltung klaffen weiterhin große Lücken.
Der Fokus auf Ökologie dominiert nach wie vor
Nach den Debatten um die grüne Taxonomie und Umweltziele bleibt der soziale Aspekt weiterhin zurück, was zu Problemen in der praktischen Anwendung führt. Eine Ergänzung um soziale Ziele ist notwendig, damit die Taxonomieverordnung wirklich umfassend wird. Die Taxonomie-Verordnung hat das Ziel, jegliche Wirtschaftsaktivitäten nach dem Grad ihrer Nachhaltigkeit einzustufen – nachhaltig nach den Faktoren ökologisch, sozial und Unternehmensführung, wie sie im Kürzel ESG zusammengefasst sind. Damit soll sie Investoren eine Messlatte geben. Im Bereich Ökologie sind sechs Umweltziele definiert. Mittlerweile existieren auch detaillierte Rechtsakte zu allen Umweltzielen. Darin sind Wirtschaftstätigkeiten samt technischer Bewertungskriterien festgehalten, über die sich beurteilen lässt, wie ökologisch nachhaltig ein Unternehmen handelt. Nachhaltig laut Taxonomie gelten Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen, die mindestens zu einem dieser Ziele wesentlich beitragen und gleichzeitig kein anderes Ziel beeinträchtigen. Während die Umweltziele der EU-Taxonomie definiert sind, fehlen soziale Standards nach wie vor.
Herausforderung Soziale Nachhaltigkeit
Soziale Nachhaltigkeit ist schwerer zu definieren als ökologische Standards, da sie unterschiedlichste Kriterien wie Menschenrechte, Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Arbeitssicherheit u.v.m. umfasst. Dies macht regulatorische Maßnahmen und Vorgaben komplexer und erschwert die Regulierung, keine Frage. Die Entwicklung der Sozialen Taxonomie, die als Rahmen für soziale Standards dienen soll, stockt daher. Während ökologische Ziele klar definierte Metriken haben, fehlt es sozialen Zielen an messbaren Standards.
Die europäische Union hat sich jedoch verpflichtet, bis 2050 zum ersten klimaneutralen und nachhaltig wirtschaftenden Kontinent zu werden. Dafür ist die private Kapitalbeteiligung essenziell, denn die Regierungen schaffen die Finanzierung keinesfalls allein. Es werden also massive Investitionen privaten Kapitals benötigt. Unternehmen in der EU müssen jedoch in ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der EU-Taxonomie berichten. Die Taxonomieverordnung ist das Herzstück der EU-Sustainable Finance Regulierungen – und gerade da hat die EU-Kommission offenbar der Mut verlassen. Denn diese legt eben nur Umweltziele fest – nach heftigen Streitigkeiten in der grünen Taxonomie, vor allem um Atomkraft und Gas, wurden weitere Schritte hin zu einer einheitlichen Definition Sozialer Ziele bislang nicht in Angriff genommen. Das hat Folgen.
Fehlende Klassifizierung schafft Probleme für Unternehmen
Eine StakeholderInnenbefragung des SÜDWIND-Instituts unter Sustainable-Finance-ExpertInnen zeigt auf, mit welchen Problemen Finanzinstitute dadurch konfrontiert sind. Die einseitige Fokussierung auf Umweltziele führt dazu, dass viele Branchen unberücksichtigt bleiben. Nur 50 % der europäischen Wirtschaftsaktivitäten sind überhaupt als taxonomiefähig qualifizierbar, positive soziale Aspekte wirtschaftlicher Aktivitäten für die Gesellschaft können über die Taxonomie nicht sichtbar gemacht werden, Investitionen mit sozialem Fokus können nicht als nachhaltig klassifiziert werden. Die Taxonomieverordnung kann daher nur mit einer Ergänzung um soziale Ziele funktionieren. Das sollte allen Involvierten klar sein.
Soziale Dimension nachhaltiger Finanzprodukte
Auch die ÖGUT (Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik) widmete sich kürzlich im Rahmen der Webinar-Reihe „Grünes Geld für Grüne Investitionen“ der sozialen Dimension – vor allem auch hinsichtlich nachhaltiger Finanzprodukte. Diskutiert wurden die Rolle des „S“ im ESG-Research und die EU-Soziale Taxonomie. Die ÖGUT, die über 100 Mitgliedsorganisationen aus Wirtschaft, Verwaltung und Umwelt umfasst, unterstützt mit ihren Veranstaltungen den Austausch und die Vernetzung der Marktteilnehmer. Auch ich bin hier immer wieder gerne dabei. Im Webinar wurde diskutiert, wie soziale Aspekte in die Bewertung von Finanzprodukten integriert werden können und machte deutlich, dass verbindliche Richtlinien unerlässlich sind, um die soziale Dimension in der Nachhaltigkeit zu stärken
Fazit: Es braucht verbindliche Richtlinien
Soziale Investitionen haben das Potenzial nicht nur ökologische und wirtschaftliche, sondern auch soziale Probleme zu adressieren, und tragen so zu einer ganzheitlicheren Definition nachhaltigen Wachstums bei. Dabei stellen sich offene Fragen, wie beispielsweise, wie soziale Aspekte in die EU-Sustainable Finance Regulierung gestärkt werden können, wie ein Soziales Investitionsrahmenwerk vorangetrieben werden kann und welche Rolle Social Bonds dabei spielen könnten.
Originalbeitrag:
Gastkommentar Dr. Susanne Lederer-Pabst in Börse Social Magazine #93_Ausgabe 10/2024